Wer im medizinischen Notfall den Notruf 112 wählt, rechnet mit schneller Hilfe vom Rettungsdienst. Die alarmierten Rettungswagen werden überwiegend vom Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen gestellt.
Doch zunehmend drängt auch private Konkurrenz auf den Milliardenmarkt. Wie ihre Chancen sind, hängt auch vom Ausgang eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof ab.
Worum geht es in dem Verfahren?
In Deutschland sind Länder und Kommunen dafür zuständig, den Rettungsdienst zu organisieren. In vielen Fällen beauftragen sie Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) oder den Malteser Hilfsdienst damit, Notfallpatienten schnell ins Krankenhaus zu bringen. Häufig werden diese Aufträge ohne europaweite Ausschreibungen vergeben. So hat das auch die Stadt Solingen bei Düsseldorf gemacht. Sie forderte 2016 vier Hilfsdienste auf, Angebote abzugeben. DRK und ASB erhielten schließlich die Aufträge im Gesamtumfang von 2,7 Millionen Euro im Jahr. Dagegen hat ein privater Anbieter geklagt, der sich nicht bewerben konnte.
Warum ist der Fall beim EuGH in Luxemburg gelandet?
Über die Klage verhandelt das Oberlandesgericht in Düsseldorf. Umstritten ist dabei die Auslegung einer EU-Vergaberichtlinie von 2014. Sie sieht vor, dass Dienstleistungen des Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Gefahrenabwehr ohne Ausschreibung an gemeinnützige Organisationen vergeben werden dürfen. Das OLG wollte von Europäischen Gerichtshof wissen, ob Notfalltransporte von Kranken zu den Ausnahmen gehören und welche Voraussetzungen ein Hilfsdienst erfüllen muss, um als gemeinnützig anerkannt zu werden.
Wer ist der Kläger?
Vor Gericht gezogen ist die Falck-Unternehmensgruppe aus Dänemark. Sie bezeichnet sich als das größte private Rettungsdienstunternehmen in Deutschland. Seit 2010 sind die Dänen hier aktiv und haben mittlerweile in acht Bundesländern Standorte und 550 Rettungswagen im Einsatz. Zum Vergleich: Für das DRK sind in Deutschland 4700 Fahrzeuge unterwegs. Falck will mit der Klage verhindern, dass der Markt künftig nur noch zwischen der öffentlichen Hand und den Hilfsorganisationen aufgeteilt wird.
Wie hoch sind die Ausgaben für den Rettungsdienst?
Die Ausgaben für den Rettungsdienst sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, pro Jahr nehmen sie nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums um durchschnittlich 7 Prozent Zu, deutlich stärker als die Zahl der Versicherten. Von 2002 bis 2017 haben sich die Ausgaben für Rettungswagen von gut 800 Millionen Euro auf etwa 2,3 Milliarden Euro nahezu verdreifacht. Eine weitere Milliarde Euro mussten die Krankenkassen 2017 für den Einsatz von Notarztwagen auszahlen.
Warum steigen die Kosten der Notfalltransporte?
Die Zahl der Einsätze nimmt kontinuierlich zu. Aktuelle Zahlen gibt es allerdings nicht. Zuletzt hat die Bundesanstalt für Straßenwesen die Entwicklung in den Jahren 2012 und 2013 analysiert. Damals gab es bundesweit rund 12 Millionen Einsätze im Jahr. Das waren 147 Einsätze pro 1000 Einwohner und Jahr. 1998/99 gab es nur rund 9,9 Millionen Einsätze, umgerechnet 121 je 1000 Einwohner und Jahr. Falck schätzt, dass die Zahl der Einsätze von Rettungswagen inzwischen auf 14 Millionen im Jahr gestiegen ist.
Müssen die Hilfsdienste um ihre Privilegien bangen?
Wenn es nach Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona geht, wohl nicht. Er ist der Ansicht, dass Rettungsdienste nicht zwingend europaweit ausgeschrieben werden müssen, wenn sie an eine gemeinnützige Organisation vergeben werden. Für Krankentransporte, die kein Notfall seien, gelte das aber nicht. Für die Anerkennung als gemeinnützige Organisation fordert Sánchez-Bordana strengere Vorgaben. Es reiche nicht aus, nach nationalem Recht als Hilfsorganisation anerkannt zu sein. Die Organisationen dürften nicht auf Gewinn ausgerichtet sein und müssten anfallende Gewinne in ihre soziale Arbeit investieren. Die Einschätzung des Gutachters ist für die Richter nicht bindend, häufig folgen sie ihm aber.
Quelle: Recklinghäuser Zeitung