In Gelsenkirchen beschwert sich die Notrufzentrale über zu viele Bagatellanrufe. Der Trend ist auch in Herten zu sehen, gleichzeitig wird aber vor gefährlichem Zögern bei Unwohlsein gewarnt.
Habe ich nur einen normalen Husten oder doch Corona? Viele Menschen fragen sich das mittlerweile, schon bei leisen Anzeichen einer Erkrankung. Die Pandemie hat die Verunsicherung in der Bevölkerung steigen lassen und mit ihr die Zahl von sogenannten „Bagatellanrufen“ bei den Rettungsdiensten. In Herne und Gelsenkirchen geht man davon aus, dass jeder vierte angebliche Notfall gar keiner ist. Wie ist die Lage in Herten?
Genaue Zahlen zu falschen Alarmmeldungen kann die Stadtverwaltung nicht nennen, da sämtliche Notrufe – im Gegensatz zu den kreisfreien Nachbarstädten – über die Leitstelle des Kreises Recklinghausen abgewickelt würden, heißt es aus Hertener Pressestelle.
Aber auch bei der übergeordneten Behörde bleibt man zurückhaltend, was konkrete Statistiken betrifft. Den markigen Formulierungen aus der Nachbarschaft – Gelsenkirchens Feuerwehr-Chef Michael Axinger stellt eine zunehmende „Bequemlichkeit“ bei Hilfesuchenden fest und der Teamleiter des Rettungsdienstes, Andreas Fleige, spricht gar von einer anwachsenden schädlichen „Vollkasko-Mentalität“ – möchte man sich in der Kreisverwaltung keinesfalls anschließen.
Rettungsdienst will niemanden abschrecken
Im Gegenteil: „Wir schrecken damit genau diejenigen ab, die sowieso schon zurückhaltend sind, was Anrufe in einer möglichen Notsituation betrifft.“ Ältere Menschen würden beispielsweise so gut wie nie wegen einer Bagatelle anrufen. Genauso sei es im Bereich Frauengesundheit telefonisch schwer abzuschätzen, wie die Gefahrenlage gerade ist: „Ein Herzinfarkt ist bei ihnen durchaus schwerer zu erkennen als bei Männern“, sagt Svenja Küchmeister.
Von pauschalen Aufrufen, wie sie derzeit zum Beispiel in den sozialen Medien kursieren, bei den überlasteten Rettungsdiensten nur noch im absoluten Notfall anzurufen, hält sie – wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Kreisverwaltung – daher nichts. „Auch wenn es am Anfang vielleicht nicht so aussieht, kann dieses Nichtstun letztlich lebensgefährlich für den Einzelnen sein.“ Um bereits am Telefon abzuklären, ob die Retter wirklich zum Patienten rausfahren müssen oder ob es nicht auch ein Besuch beim Hausarzt tut, und um „Fake-Anrufe“ mit tatsächlich böser Absicht herausfiltern zu können, habe man einen Fragen-Katalog für alle Gespräche auf der „112“ formuliert.
Mehr Anrufe beim DRK-Hausnotruf
Gute Erfahrungen damit hat auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Herten gemacht. „Wir sind zwar nicht für den Rettungsdienst im Kreis zuständig, aber bemerken auch beim DRK-Hausnotruf eine höhere Zahl an Anrufen seit Beginn der Pandemie. Dabei handelt es sich fast nie um Fehlalarme. Die Leute wollen einfach sichergehen, was mit ihnen los ist, oder haben Nachfragen, ob es Corona-Symptome bei ihnen gibt“, sagt DRK-Vorstand Ralph Hoffert.
Insgesamt rund 800 Menschen würden in Herten das Gerät mit Notfallknopf nutzen, um für den Fall der Fälle einen direkten Draht zum DRK zu haben. „Im gesamten Kreis RE sind es etwa 2000“, berichtet Ralph Hoffert. Im Gegensatz zum Kreis-Rettungsdienst kenne man seine Patientinnen und Patienten daher sehr genau: „Denn schon beim Geräte-Anschluss bekommen wir Informationen zum Gesundheitszustand, Medikamenten oder dem Hausarzt, anhand derer wir bei Telefonaten die Situation des Anrufers viel besser beurteilen können. In manchen Fällen haben wir auch einen Haustürschlüssel, um schnell in die Wohnung zu kommen. Das entlastet letztlich auch den Rettungsdienst des Kreises“, meint Ralph Hoffert.
Notrufe sind oft auch ein soziales Problem
Er ist ebenfalls der Meinung, dass Betroffene lieber einmal zu viel als überhaupt nicht zum Hörer greifen sollten, wenn sie sich unwohl fühlen: „Ein Anruf – rechtzeitig und gut abgeklärt – lenkt in eine bestimmte Richtung und ist allemal besser, als wenn zunächst gar nichts passiert, und nachher wird dann zu spät angerufen.“
Er sieht in der höheren Zahl von Notrufen auch ein soziales Problem: „Wir stellen fest, dass sie oft von Leuten kommen, die alleine leben und die in einem größeren Mietshaus wohnen, wo nicht so eine gute Nachbarschaft besteht.
Quelle: Recklinghäuser Zeitung