Zwei Euro. Nur zwei Euro Umsatz. Ingrid Kallien schüttelt enttäuscht den Kopf. Den Neustart nach der anderthalbjährigen Corona-Zwangspause hatte sie sich anders vorgestellt. Ganz anders. Denn die Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) an der Straße Im Bogen ist eigentlich ein beliebter Treffpunkt. „Wer hier vorbeischaut, kann viel Geld sparen und bekommt trotzdem gute Ware“, sagt die Leiterin des günstigen Kaufhauses in Suderwich.
Immer mittwochs: Helferinnen arbeiten mit „viel Liebe“
Vorbei an Tischtüchern und Gardinen, an Bademänteln und Bettwäsche. Mittwochs ist Kleiderkammer-Tag. „Wir arbeiten hier mit viel Liebe“, berichtet Ingrid Kallien (72). Wir – das sind neben Kallien auch Margret Jeschik (85), Evelyn Struck (66), Friederike Eßer (64) und Christel Spanka (84). Stolz tragen die fünf das rote DRK-Shirt.
Die Waschmaschine im Keller dreht fleißig ihre Runden. Eine Etage höher sortieren die ehrenamtlichen Helferinnen derweil die gespendeten Anziehsachen. – Doch niemand kommt vorbei. „Als hätten sie uns nach dem Lockdown vergessen“, meint die Leiterin der Kleiderkammer und schüttelt betrübt den Kopf.
Vorbei an Handtaschen und Westen, an Herrenhosen und Damenjacken. 1992 ergriff Ingrid Kallien die Initiative. Mit einem Kleiderbasar fing alles an. Doch „mit Sack und Pack“ von Gemeinde zu Gemeinde zu ziehen, das war den Frauen der ersten Stunde auf Dauer zu umständlich. So eröffneten sie die DRK-Kleiderkammer in einem Gebäude neben der Grundschule an der Schulstraße 74. Zehn Jahre später zogen sie in die größere 75-Quadratmeter-Wohnung um. Mit Erfolg.
„Die Menschen freuten sich, dass sie bei uns für wenige Cent einkaufen konnten“, erinnert sich Ingrid Kallien. 40 Kundinnen und Kunden an einem Nachmittag waren keine Seltenheit, darunter viele kinderreiche, allein erziehende oder arbeitslose. Recklinghäuser in Not, die wenig Geld besaßen. Auch die Geflüchteten nutzten das Angebot gerne.
In der Küche gibt’s auch schon mal einen Kaffee gratis
Vorbei an Röcken und Hemden, an Kleidern und Blusen. Die Ständer drängen sich dicht aneinander. Die Toilette ist zugleich Umkleidekabine. Und in der Küche gibt’s auch schon mal einen Kaffee gratis. „Die Kameradschaft ist hier sehr gut“, berichtet Friederike Eßer und rückt einen Hemdenstapel zurecht. Aber eigentlich muss sie das gar nicht, denn die Kleidung liegt picobello in den Regalen oder hängt akkurat an den Stangen. „Es ist ja keiner da, der Unordnung macht“, meint Ingrid Kallien. 18 Monate kam sie nur zum Lüften. Sie hat aber auch die Fenster geputzt und die Gardinen gewaschen.
Vorbei an Shorts und Strumpfhosen, an Anzügen und Jogginghosen. Über mangelnde Spenden können sich die fünf Frauen nicht beklagen. „Manchmal erhalten wir sogar ganz neue Sachen“, erzählt Christel Spanka begeistert. Nur Handtücher, ja, Handtücher, die fehlen andauernd. Und gerne helfen sie der Kundschaft bei der Suche, schließlich wissen sie am allerbesten, in welchem der vier Räume sich das gewünschte Teil „versteckt“. Christel Spanka „macht die Damenabteilung“, und Friederike Eßer ist für die Herren zuständig. Für zwei Euro wechseln die Schnäppchen dann den Besitzer. Und wer gar kein Geld hat, geht auch nicht mit leeren Händen nach Hause.
Vorbei an Nachthemden und Schals, an Mützen und Regenkleidung. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Und die Seniorinnen hoffen, dass sich am nächsten Mittwoch möglichst viele Leute davon überzeugen.
INFO: Die DRK-Kleiderkammer öffnet mittwochs von 13.30 Uhr bis 16 Uhr, Im Bogen 9-11. Es gilt die 3-G-Regel.
Quelle: Recklinghäuser Zeitung, Suderwich