· Archiv 2018

Am besten wird man nicht arm geboren

Dr. Dietmar Kehlbreier (l.) hat den Vorsitz an Christoph Behrenspöhler weitergegeben. Pastorin Barbara Montag sagt: "Soziale Rechte sind Menschenrechte."

Wohlfahrtsverbände warnen vor auseinanderdriftenden Lebenswelten.

Kreis RECKLINGHAUSEN. Wer wohl ist oder wäre gerne arm? Pastorin Barbara Montag hat drei Tipps, um dem zu entgehen: „Erstens: Werden sie nicht arbeitslos! Zweitens: Vermeiden Sie, dass Sie alleinerziehend sind, und haben Sie möglichst nicht mehr als zwei Kinder! Drittens: Vermeiden Sie, in eine arme Familie hineingeboren zu werden!“

Drastisch formuliert? Tatsächlich spiegelt das die Lebenswirklichkeit und -risiken vieler Menschen in unserer Gesellschaft wider. Und ist Hauptthema von Barbara Montags Referat bei der jüngsten Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände. Als Interessenvertretung von Menschen in schwierigen Lebenslagen nimmt die „AG Wohlfahrt“ gegenüber Politik und Gesellschaft eine wichtige Anwaltsfunktion wahr. Auch Dr. Dietmar Kehlbreier und Christoph Behrenspöhler gehören zu den Zuhörern der Leiterin der Stabsstelle Theologie und Grundsatzfragen beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe – und stehen am Freitag im Diakonie-Tagungszentrum an der Bachstraße in Marl für eine wichtige Personalie: Kehlbreier, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis RE, übergibt den Vorsitz an Behrenspöhler, Hauptamtlicher Vorstand des DRK-Kreisverbandes.

Position in der Gesellschaft beziehen

Die Funktion hat einen hohen Stellenwert, die Arbeitsgemeinschaft mit ihrem Vorsitzenden an der Spitze will und muss zu gesellschaftlichen Entwicklungen öffentlich Position beziehen. „Wir haben einen sozialpolitischen Auftrag und merken gerade, wie Lebenswelten auseinanderdriften. Das liegt nicht nur an der Dynamisierung von Lebensumständen, das wird auch von rechtspopulistischen Tendenzen befeuert“, sagt Kehlbreier.

Der Staat gibt Geld, hält sich aber nach dem Subsidiaritäts-Prinzip aus der konkrete lokalen Ausgestaltung der im Grundgesetz verankerten Rechtsbegriffe „soziale Gerechtigkeit“ und „soziale Sicherheit“ heraus. Dies sind nur einige Bereiche, in denen die Wohlfahrtsverbände seit Jahrzehnten diese Funktion ausfüllen: Pflege, Arbeiten und Wohnen behinderter Menschen, familienunterstützende Dienste, Frühförderung, Schuldner- und Suchtberatung, Obdachlose, Geflüchtete und Migration.

Gegen Kürzungen

Für die Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bedeutet das, in dauernder Abwehrschlacht gegen finanzielle Kürzungen bei den Schwächsten Gesicht zu zeigen, Fehlentwicklungen zu benennen: Etwa, wenn Wohlfahrtsverbände, die ihren Beschäftigten Tarif zahlen, von Mitbewerbern in Ausschreibungen ausgestochen werden, die auf Mindestlohn-Basis Preisdumping-Spiralen in Gang setzen. „Ich kann es nicht mehr hören, dass sich Wohlfahrtsverbände die Taschen vollmachen“, sagt DRK-Mann Behrenspöhler als Geschäftsführer eines Kreisverbandes, der von enormem ehrenamtlichen Engagement zehrt. „Ich nehme eine Veränderung der Wahrnehmung, den Verlust von Wertschätzung von Wohlfahrtsverbänden in der Bevölkerung wahr“, so Behrens pöhler. Der Ton in der Gesellschaft hat sich geändert, auch Wohlfahrtsverbände sind gezielter Diskreditierung gerade aus dem rechtsextremen Spektrum der AfD ausgesetzt. „Es hat System“, sagt Pastorin Montag, „immer wieder Misstrauen zu säen.“ Dabei fehlt den Aussagen jede Ernsthaftigkeit und Redlichkeit. Tatsächlich ist es so: Soziale Rechte sind Menschenrechte.“

 
Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände
  • In der „AG Wohlfahrt“ sind zusammengeschlossen: Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Diakonie, Jüdische Gemeinden.
  • Die Arbeitsgemeinschaft Wohlfahrt ist Gesprächspartner des Kreises Recklinghausens mit Landrat Cay Süberkrüb.
  • Der Vorsitz in der „AG Wohlfahrt“ wechselt im Rhythmus von zwei Jahren.

Quelle: Recklinghäuser Zeitung